Sigmar Gabriel zur Griechenlandkrise
Das Parteipräsidium hat folgenden Leitsatz formuliert: „Die SPD will, dass Deutschland ein guter Nachbar und vertrauenswürdiger Partner in Europa ist. Wir denken an unsere Geschichte. Wir haben große Hilfe bekommen. Und wir haben selbst tatkräftig anderen geholfen. Heute geht es uns besser als vielen. Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Die Sozialdemokratie arbeitet für ein starkes Europa, das wieder Hoffnung weckt.“
Wir veröffentlichen Auszüge aus einem Schreiben von Sigmar Gabriel
Seit ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren ist die SPD eine Partei der internationalen Solidarität. Es waren Sozialdemokraten, die 1925 die „Vereinigten Staaten von Europa“ forderten. Das großartige Projekt der Europäischen Union wurde nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts maßgeblich von Sozialdemokraten und Sozialisten gestaltet. (...)
Noch nie seit den Römischen Verträgen war Europa in einer so tiefen inneren Krise wie heute. Nicht nur die Bewältigung der Finanzkrise in Griechenland fordert uns heraus, sondern auch die große Zahl von Menschen, die vor Not, Krieg und Elend aus ihren Ländern in der Hoffnung auf ein sicheres Leben nach Europa flüchten. Und nicht zuletzt das Erstarken europafeindlicher und nationalistischer Parteien in vielen europäischen Nachbarstaaten. Wir deutsche Sozialdemokraten werden aber gemeinsam mit unseren Freunden in der Sozialdemokratischen Partei Europas alles dafür tun, damit Europa diese Bewährungsprobe verantwortungsbewusst und solidarisch besteht. Nur gemeinsam werden die Völker und Nationen Europas in einer sich rasant verändernden Welt eine starke Stimme haben und Wohlstand und Sicherheit für unsere Kinder und Enkel gewährleisten können. (...)
Griechenland droht in diesen Tagen die Zahlungsunfähigkeit. Diese bittere Wahrheit müssen alle erkennen, auch die Regierung Tsipras und die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands. Diese Situation haben wir abzuwenden versucht. In den vergangenen Wochen haben wir gemeinsam mit Martin Schulz, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Claude Juncker sowie unseren sozialdemokratischen und sozialistischen Freundinnen und Freunden in Europa alle nur denkbaren Anstrengungen unternommen, um den Verbleib Griechenlands im Euro zu ermöglichen.
Der griechischen Regierung wurden Ende vergangener Woche Vorschläge für Hilfen unterbreitet, die weiter gingen als alles, was in den vergangenen Jahren einem der Krisenstaaten angeboten wurde.
Diese Vorschläge wurden gerade vor dem Hintergrund der kritischen wirtschaftlichen und sozialen Lage Griechenlands formuliert. Wir glauben, dass sich in diesen Angeboten auch die Einsicht der europäischen Institutionen und des Internationalen Währungsfonds (IWF) spiegelt, dass die Rettungspolitik der Vergangenheit zu einseitig und letztlich nicht erfolgreich war. Nur auf Sparmaßnahmen zu setzen und auf jeden Impuls für Wachstum und Beschäftigung ebenso zu verzichten wie auf Hilfsprogramme zur Abfederung der sozialen Härten konnte nicht erfolgreich sein. Darauf haben wir Sozialdemokraten immer wieder hingewiesen. Es ist vor allem der Arbeit von Sozialdemokraten und insbesondere Martin Schulz zu verdanken, dass es jetzt qualitativ neue und bessere Hilfsangebote für Griechenland gab. Sie zeigen einen echten Ausweg für Griechenland. Und sie nehmen Rücksicht auf soziale Härten. Und vor allem: sie beinhalten Investitionen in Wachstum und Beschäftigung.
Dazu zählen:
- Eine fünfmonatige Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms bis November mit weiteren Auszahlungen von mehr als 15 Mrd. Euro;
- Eine sofortige Auszahlung von 1,8 Mrd. Euro, um den Zahlungsausfall in dieser Woche abzuwenden;
- Ein neues drittes Hilfsprogramm als Anschlussfinanzierung für die Zeit danach;
- Die Chance einer Schuldenerleichterung, wenn die Reformen umgesetzt werden; 35 Milliarden € Wachstumsinvestitionen aus europäischen Fonds bis 2020.
Aber auch diese Angebote waren und sind natürlich mit Bedingungen verbunden. Zu den Regeln von Finanzhilfen im Euroraum gehört, dass beide Seiten sich darüber verständigen, mit welchen Reformen Schulden abgebaut und Wirtschaftskraft wiedererlangt werden können. Würde man darauf verzichten, würden sich immer wieder neue Schulden und finanzielle Probleme ergeben. Solidarität und die Bereitschaft zu Eigenverantwortung und Reformen im eigenen Land gehören für uns Sozialdemokraten zusammen.
Doch auch bei den in Griechenland notwendigen Reformmaßnahmen gab es die Bereitschaft, mit der Regierung in Athen einen fairen Kompromiss zu vereinbaren:
- Die Zielmarken für den Primärüberschuss im griechischen Haushalt – also der positive Saldo nach Abzug des Schuldendienstes – wurden herabgesetzt, ebenso die Zielmarken für die erwarteten Privatisierungserlöse.
- Soziale Maßnahmen zur Bekämpfung der humanitären Krise (Unterstützung Bedürftiger mit Nahrungsmitteln, Strom, Mieten, Gesundheitsversorgung) gehörten ebenso dazu wie die Einführung einer sozialen Grundsicherung. Es sollte z.B. auch keine Mehrwertsteuererhöhung auf Medikamente und Grundnahrungsmittel geben. Und im Rahmen einer Rentenstrukturreform, deren Notwendigkeit auch von der griechischen Regierung akzeptiert wurde, konzentrierten sich die Maßnahmen auf die Frühverrentung und auf die 20% der Höchstrentenbezieher.
- Außerdem eine energische Bekämpfung der Steuerflucht und eine deutliche Kürzung der Militärausgaben.
Aber es ging nicht nur um Haushaltssanierung durch Ausgabekürzungen. Auch Einnahmeverbesserungen durch eine Anhebung der Unternehmensbesteuerung und durch Bekämpfung von Steuerbetrug waren vorgesehen.
Die griechische Regierung hat diese weitreichenden Angebote nicht verhandelt, sondern sie hat einen anderen Weg eingeschlagen, in dem sie ein Referendum angekündigt und dadurch einseitig und plötzlich die Verhandlungen abgebrochen hat. Über die Motive will ich nicht spekulieren.
Dass die griechischen Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum entscheiden können, ist legitim. Aber es muss klar sein, worüber dabei entschieden wird: Es geht letztlich um die Frage: Ja oder Nein zum Euro. Eine Ablehnung der Angebote in der Hoffnung, gar keine Gegenleistungen mehr bringen zu müssen, steht nicht zur Diskussion. Das muss jede verantwortungsbewusste Regierung ihren Bürgern sagen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden die Menschen in Griechenland in keinem Fall im Stich lassen. Wenn die griechischen Bürgerinnen und Bürger sich in ihrem Votum zum Verbleib im Euro bekennen, dann werden wir sofort die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Doch auch für den Fall, dass es zur Zahlungsunfähigkeit kommt, wird Unterstützung bereit stehen. Wir werden helfen.
Wie auch immer Griechenland entscheidet: Der Euro bleibt in jedem Fall eine starke und sichere Währung. Deutschland und Europa werden alles tun, damit der Euroraum stabil bleibt. Wir streiten weiter für ein solidarisches Europa der Menschen, das Frieden und Wohlstand sichert.